Kein Vergütungsanspruch für nutzlosten Branchenverzeichnis-Eintrag – das Landgericht (LG) Wuppertal entschied mit Beschluss vom 05.06.2014, Az. 9 S 40/14: Eine jährliche Zahlung von 910 € netto für einen quasi wertlosen Eintrag in einem Internet-Branchenverzeichnis erfüllt die Voraussetzungen an ein wucherähnliches Rechtsgeschäft nach § 138 Abs. 1 BGB und ist deswegen sittenwidrig.
Branchenbuch-Abzocke – was war geschehen?
Die Klägerin betreibt das Internet-Branchenverzeichnis www.branche100.eu. Sie versuchte gegenüber der beklagten Partei, das Entgelt für den Eintrag in ihrem Branchenverzeichnis gerichtlich durchzusetzen. Bereits erstinstanzlich war die Klägerinvor dem Amtsgericht (AG) Wuppertal, Geschäftszeichen 36 C 341/13, gescheitert. Gegen das Urteil des AG Wuppertal legte die Klägerin Berufung zum LG Wuppertal ein.
Wie entschied das LG Wuppertal zum Branchenbuch-Eintrag?
Die Berufungskammer des LG Wuppertal kündigte mit ihrem Hinweisbeschluss vom 05.06.2014 ihre Absicht an, die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO einstimmig durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen.
Das AG Wuppertal habe zu Recht entschieden, der Vertrag sei sittenwidrig. Die Voraussetzungen an ein Wuchergeschäft nach § 138 Abs. 1 BGB lägen vor. Es liege ein objektiv auffälliges Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung vor:
„Der Leistung der Beklagten in Form einer jährlichen Zahlung von 910,00 € netto steht als Gegenleistung ihr Eintrag in das Internet-Branchenverzeichnis ‚www.Branche100.eu‘ gegenüber. Letztere Gegenleistung ist jedoch quasi wertlos. Eine Internet-Recherche der Kammer vom heutigen Tage hat ergeben, dass das Verzeichnis ‚www.Branche100.eu‘ nach Eingabe der Begriffe ‚Branchenbuch‘, ‚Branchenverzeichnis‘ oder ‚Gelbe Seiten‘ in die (marktführenden) Suchmaschinen Google, Bing und Ask auf den jeweils ersten fünf Suchtrefferseiten nicht erscheint. Mithin stößt ein Internet-Nutzer, der ein Branchenverzeichnis sucht (‚googelt‘) zwar z.B. auf die Internet-Portale ‚www.gelbeseiten.de‘, ‚www.cylex.de‘ oder ‚www.goyellow.de‘, keineswegs aber auf das Angebot der Klägerin. Dabei wäre es für sie ein Leichtes, etwa durch Schaltung von Anzeigen in den genannten Suchmaschinen, eine entsprechende Nutzerzahl zu generieren. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Klägerin auf andere Weise Nutzer des Verzeichnisses generieren würde. Der Eintrag in einem Branchenverzeichnis, welches niemand nutzt, ist aber quasi wertlos. Dass die Klägerin selbst überhaupt kein Interesse an einer Nutzung ihres Branchenverzeichnisses hat, ergibt sich auch aus dem Schriftsatz vom 15.01.2014, wonach ‚in die Suchmaschine kein Zähler integriert wurde‘ weswegen sie keine Angaben zu Nutzungszahlen machen könne. Es ist daher von derart geringen Nutzerzahlen auszugehen, dass der Eintrag bei ‚www.Branche100.eu‘ quasi wertlos und die Vergütung von 910,00 € netto hierfür in jedem Fall unangemessen hoch ist.“
Auch die subjektiven Voraussetzungen eines wucherähnlichen Geschäfts seien gegeben. Zwar begründe die Vollkaufmann-Eigenschaft des Benachteiligten in aller Regel die widerlegliche Vermutung, dass der Begünstigte nicht in verwerflicher Weise eine persönliche oder geschäftliche Unterlegenheit des Benachteiligten ausgenutzt habe. Das Angebot der Klägerin sei jedoch ersichtlich darauf angelegt, den Empfänger über den wahren Gegenstand und die mit der Rücksendung verbundenen Rechtsfolgen im Unklaren zu lassen. Während sich ein „normales“ unaufgefordert zugesandtes Angebot dadurch auszeichne, den Empfänger von den Vorzügen eines Vertragsschlusses zu überzeugen, werde ihm mit dem Angebot der Klägerin gerade die Kenntnisnahme des Vertragsinhalts schwer gemacht. Das Verhalten der Klägerin könne daher nur den Zweck gehabt haben, die Beklagte zu überrumpeln.
Welche Auswirkung hat die Entscheidung des LG Wuppertal auf die Praxis bei Branchenbuch-Abzocke?
Ob schriftliches Angebot für eine Eintragung in einem obskuren Branchenverzeichnis oder Überrumpelung am Telefon: Die Erwägungen des LG Wuppertal zum Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung und damit zur Sittenwidrigkeit können als Blaupause bei der Rechtsverteidigung gegen eine Vielzahl unseriöser Anbieter dienen. Das Gericht weist in seinem Beschluss darauf hin, dass es nicht darauf ankommt, ob es das Branchenverzeichnis überhaupt gibt und ob das überrumpelte Unternehmen dort mit einem Eintrag vertreten ist. Entscheidend ist auch nicht, ob das Branchenverzeichnis über eine Internet-Suchmaschine gefunden werden kann, indem dessen Name als Suchbegriff eingegeben wird. Entscheidend ist vielmehr, ob das Branchenverzeichnis gefunden werden kann, in dem allgemeine Standard-Suchbegriffe eingegeben werden. Erscheint das Branchenverzeichnis dann entweder überhaupt nicht oder nur unter „ferner liefen“ auf den hinteren Ergebnis-Seiten, ist zu prüfen, ob der Preis für den Eintrag in dem Branchenverzeichnis in einem Missverhältnis zu dessen Wert steht.
Als Referenzwert, welcher Preis für ein Branchenverzeichnis mit guter Suchmaschinen-Platzierung angemessen ist, kann der Preis für einen Telefonbuch-Eintrag in den „Gelben Seiten“ mit vergleichbarem Inhalt dienen.