Dashcam-Aufzeichnung als Beweismittel nach Verkehrsunfall – das Amtsgericht Nürnberg entschied mit Urteil vom 08.05.2015, Az. 18 C 8938/14 unter anderem: Einer Dashcam-Aufnahme steht in einem Unfallprozess, bei dem die Parteien unterschiedliche Angaben zum Unfallhergang machen, kein Beweisverwertungsverbot entgegen.
Inhalt
Was war geschehen?
In dem Verfahren ging es um Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall. Der Kläger machte unter anderem Reparaturkosten geltend. Zwischen den Parteien war streitig, wie es zu dem Unfall gekommen war. Der Kläger legte als Beweismittel eine Videoaufnahme vor, die er während der Fahrt mit seiner Dashcam angefertigt hatte, und auf der auch das Unfallgeschehen zu erkennen war. Der beklagte Unfallgegner wandte ein, dieser Dashcam-Aufnahme stehe ein Beweisverwertungsverbot entgegen – das Gericht dürfe sich bei seinem Urteil also nicht auf die Videoaufnahme stützen.
Wie entscheid das AG Nürnberg zur Dashcam-Aufzeichnung als Beweismittel?
_ Kein Beweisverwertungsverbot aus Datenschutzrecht
Es sei bereits zweifelhaft, ob § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG die in oder an Fahrzeugen mitgeführten Kameras überhaupt erfasse:
„Aus dem Wortlaut des § 6 b Abs. 2 BDSG, wonach der Umstand der Beobachtung und die verantwortliche Stelle durch geeignete Maßnahmen erkennbar zu machen sind, ergibt sich, dass diese Vorschrift ersichtlich auf die Überwachung öffentlicher Flächen durch stationäre Anlagen abgestellt ist, nicht hingegen jedoch auf Aufzeichnungen aus einem fahrenden Fahrzeug heraus, bei denen die Öffentlichkeit schwerlich auf die Beobachtung hingewiesen werden kann. Zudem ist nach § 6 b Abs. 1 Nr. 3 BDSG die Beobachtung zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke gerade zulässig. Das berechtigte Interesse kann hier in der Schaffung eines aussagekräftigen Beweismittels im Rahmen eines effizienten Individualrechtsschutzes und einer funktionsfähigen Rechtspflege gesehen werden. Fraglich kann nur sein, ob schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen, was im Rahmen einer Interessensabwägung zu klären ist (…).“
_ Kein Beweisverwertungsverbot aus dem Recht am eigenen Bild
Auch § 22 S. 1 KunstUrhG, der ein Recht am eigenen Bild begründet, sei nicht einschlägig:
„§ 22 KunstUrhG gewährt jedoch keinen Schutz gegen die Herstellung von Abbildungen, sondern nur gegen ihre unzulässige Verbreitung oder öffentliche Zurschaustellung. Nach § 24 KunstUrhG dürfen für Zwecke der Rechtspflege Bildnisse ohne Einwilligung des Berechtigten öffentlich zur Schau gestellt werden, was eine Inaugenscheinnahme der Videoaufzeichnung in öffentlicher Sitzung ermöglicht. Auch das KunstUrhG enthält kein ausdrückliches Verwertungsverbot. Vielmehr zeigt § 24 KunstUrhG, dass die Verwertung zulässig sein kann.“
_ Kein überwiegendes allgemeines Persönlichkeitsrecht
Ein Schutz davor, abgebildet zu werden, lasse sich nur auf § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht stützen. Für die Frage der Verwertbarkeit der Aufnahme komme es demnach auf das Ergebnis der Interessenabwägung zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Beklagten und dem Interesse an der Verwertung der Aufzeichnung an.
Der Eingriff des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes des Beklagten begründet allein jedoch noch nicht das Beweisverwertungsverbot. Vielmehr sei im Rahmen einer umfassenden Güter- und Interessensabwägung zu ermitteln, ob der Eingriff vom Betroffenen hingenommen werden müsse.
„Das Verwertungsinteresse des Klägers ist im vorliegenden Fall erheblich. Nachdem beklagtenseits ein anderer Unfallhergang geschildert worden ist, als klägerseits, hat der Kläger ein erhebliches und legitimes Interesse an der Zulassung des Beweismittels, um seine Schadensersatzansprüche durchzusetzen.
Die Videoaufzeichnung dient aber auch dazu, dem Gericht eine materiell richtige, mit dem wirklichen Sachverhalt übereinstimmende Entscheidung zu ermöglichen (…). Nach der Rechtsprechung des BVerfG sind auch im Zivilprozess, in dem über Rechte und Rechtspositionen der Parteien innerhalb eines privatrechtlichen Rechtsverhältnisses gestritten wird, die Aufrechterhaltung einer funktionstüchtigen Rechtspflege und das Streben nach einer materiell richtigen Entscheidung wichtige Belange des Gemeinwohls.“
Die Aufzeichnung des Verkehrsgeschehens berühre nicht den absoluten Kernbereich der privaten Lebensgestaltung des Beklagten. Der Beklagte werde in der Aufzeichnung auch nicht herabgewürdigt.
Das Interesse des Beklagten, nicht eines Verkehrsverstoßes überführt zu werden, sei kein schützenswertes Interesse. Insgesamt sei das Interesse des Beklagten daher eher gering zu bewerten. Dagegen wiege das Interesse des Klägers an der vollständigen Unfallaufklärung schwerer.
Welche Auswirkung hat das Dashcam-Urteil des AG Nürnberg auf die Praxis?
Die ausführlichen datenschutzrechtlichen und bildrechtlichen Erwägungen des AG Nürnberg in dessen Urteilsbegründung führen zu einem ausgewogenen und damit hinnehmbaren Ergebnis. Man halte sich die Konsequenzen einmal vor Augen, wollte man § 6a BDSG und § 22 KunstUrhG im Sinne eines starren, unbedingten, Bilderverbotes interpretieren: jede Fotoaufnahme, jedes Selfie, jede Videoaufnahme irgendwo im öffentlichen Bereich, irgendwo auf der Straße, irgendwo in einem Park, wäre in Zweifel unzulässig, weil irgendwo auf dem Foto oder auf der Videoaufnahme andere Menschen zu erkennen sein könnten.
So kommt es für die Frage, ob eine Videoaufnahme zulässig ist, und ob diese Videoaufnahme erforderlichenfalls als Beweismittel ausgewertet werden kann, nicht darauf an, ob gefilmt wird, sondern wie gefilmt wird. Es ist ein Unterschied, ob eine Dashcam starr ausgerichtet hinter der Windschutzscheibe angebracht wird, oder ob eine Kamera in der Hand gehalten wird und damit die Möglichkeit besteht, ganz bewusst einer bestimmten Person mit der Kamera hinterher zu schwenken und diese Person aufzunehmen. Oder ob – Extrembeispiel – dieser Person ganz bewusst hinterher gefahren wird, um diese Person aufzunehmen.
Weiter kommt es bei einer Dashcam-Aufnahme wie auch bei jeder anderen Videoaufzeichnung oder Foto-Aufnahme darauf an, was danach mit den Aufnahmen geschieht – ob die Aufnahmen gelöscht werden, ob die Aufnahmen gleichsam im privaten Fotoalbum bleiben, oder ob die Aufnahmen – via YouTube, via Facebook, über die eigene Website oder auf sonstigen Wege – der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Am Ende steht wohl die Aufgabe, präziser als bislang geschehen zu definieren, was eigentlich die Erhebung personenbezogener Daten im Sinne des Datenschutzrechtes ist: liegt beispielsweise bereits eine Datenerhebung vor, wenn auf einem Foto als kleines Detail das Nummernschild eines Autos zu erkennen ist und das Nummernschild gelesen werden kann, weil mithilfe einer guten Kamera mit guter Optik ein hochauflösendes Bild erstellt wurde, bei dem auch die Details nicht in der Pixel-Suppe untergehen? Oder setzt die Datenerhebung im Sinne des Datenschutzrechts ein ganz gezieltes Vorgehen voraus? Kommt es also beispielsweise gerade darauf an, dass Nummernschild gelesen werden kann, so dass das übrige Bild im Grunde nur Beiwerk ist?
Die geradezu revolutionären Veränderungen in der Foto- und Videotechnik der letzten zehn, maximal fünfzehn, Jahre gebieten es, sich mit diesem Spannungsfeld zwischen Bildrecht und Datenschutzrecht näher zu befassen.