Besitz kinderpornographischer Schriften nach § 184b StGB oder Besitz jugendpornographischer Schriften nach § 184c StGB – Strafverteidigung an der Schnittstelle von Strafrecht und Computertechnik: Zu den „Schriften“ im Sinne dieser beiden Straftatbestände gehören nicht nur auf Papier gedruckte Bilder und Texte. In beiden Fällen wird jeweils auf § 11 Abs. 3 StGB verwiesen. Zu den „Schriften“ gehören demnach auch Dateien – in der Praxis vor allem Bilddateien und Videodateien aus dem Internet.
Inhalt
Besitz kinderpornographischer Schriften als sozialer Super-GAU
Der Vorwurf, Kinderpornographie oder Jugendpornographie zu besitzen oder besessen zu haben, ist für den Beschuldigten regelmäßig auch der soziale Super-GAU. Neben dem Ruf geht es in vielen Fällen sofort um die berufliche und damit materielle Existenz. So entschied der VGH Bayern mit Urteil vom 24.10.2012, Az. 16a D 10.2527, dass ein Justizvollzugbeamter im mittleren Dienst, der 105 kinderpornographische Videofilme über das Filesharing-Netzwerk „BearShare“ heruntergeladen und hierdurch zugleich anderen Teilnehmern über die P2P-Tauschbörse zugänglich gemacht hatte, aus dem Beamtenverhältnis entlassen werden durfte. In der gleichen Weise entschied der VGH Bayern mit Urteil vom 05.11.2014, Az. 16a D 13.1568, gegen einen Studienrat, auf dessen Festplatte 97 Bilddateien mit kinderpornographischem Inhalt und 16 Bilddateien mit jugendpornographischem Inhalt gefunden worden waren. Spätestens, wenn die Polizei den Rechner, die externe Festplatte und die übrigen Speichermedien beschlagnahmt und sich irgendwo auf der Hardware Dateien mit pornografischem Inhalt finden, wird es kritisch.
Vorsatztat
Anlass genug, einen ganz wichtigen Gesichtspunkt nicht aus den Augen zu verlieren: Bei dem Besitz von kinderpornographischen oder jugendpornographischen Schriften handelt es sich um eine Vorsatztat.
Vorsatztat bedeutet: Der Beschuldigte muss gewusst und auch gewollt haben, das sich auf seinem Computer kinder- oder jugendpornographische Dateien befinden. Der Beschuldigte muss also mit einem Besitzwillen gehandelt haben. Wenn der Beschuldigte nichts von den Dateien und deren Inhalt wusste, kann er nicht bestraft werden. Auch die bloß fahrlässige Begehung wird nicht unter Strafe gestellt.
Der wohl klassische Praxisfall, bei dem der Vorsatz fehlt: Eine andere Person lädt die Dateien nachweislich ohne Wissen des Beschuldigten auf dessen Computer.
Aber auch ein anderer Praxisfall verdient der näheren Betrachtung:
Der Beschuldigte schließt – insoweit durchaus bewusst handelnd, insoweit also mit Vorsatz – eine fremde Festplatte an seinen Computer an, weiß aber nicht, dass sich auf dieser Festplatte kinder- oder jugendpornographische Bilder oder Videos befinden. Das Betriebssystem des Computers erstellt automatisch, im Hintergrund, auf der eigenen Festplatte in einem Systemverzeichnis kleine Vorschaubilder („Thumbnails“) an, und zwar ohne dass im übrigen Dateien auf der externen Festplatte geöffnet und angesehen werden oder gar von der externen Festplatte auf die Computer-Festplatte kopiert oder verschoben werden. Diese Thumbnails findet dann die Polizei, wenn nach der Beschlagnahme der Hardware die Dateisysteme durchforstet werden. Es folgt der angeblich nur fürsorgliche, der Strafmilderung dienende, Hinweis an den Beschuldigten: „Gestehen Sie! Der Beweis steht doch ohnehin fest!“
Automatische Vorschaubilder beweisen keinen Besitzwillen
Nicht so schnell! Das Oberlandesgericht Düsseldorf entschied mit Beschluss vom 26.05.2015, Az. III-2 RVs 36/15:
„Werden auf Datenträgern, die sich im Besitz des Angeklagten befanden, kinderpornografische Vorschaubilder (sog. Thumbnails) festgestellt, die durch das Betriebssystem des Computers automatisch generiert worden sind, kann nicht ohne Weiteres der Schluss gezogen werden, dass dem Angeklagten der Besitz der Vorschaubilder bewusst war. Lässt sich der erforderliche Besitzwille hinsichtlich der sog. Thumbnails nicht feststellen, ist auf das Sich-Verschaffen oder den vormaligen Besitz der originären – inzwischen gelöschten – Bilddateien abzustellen, wobei es unter Beachtung der fünfjährigen Verjährungsfrist einer näheren zeitlichen Eingrenzung bedarf.“
Mit anderen Worten:
- Automatische Vorschaubilder alleine beweisen noch keinen Besitzwillen des Beschuldigten.
- Es kommt auf die Originaldateien an.
Strafverteidigung an der Schnittstelle zur Computer-Technik
Wird der Beschuldigte mit dem Vorwurf konfrontiert, auf seiner Festplatte seien kinderpornographische oder jugendpornographische Dateien gefunden worden, heißt es also zuallererst: Nerven bewahren.
Analytisch denken und handeln: In welchem Verzeichnis befinden sich die Dateien überhaupt? Wie konnten die Dateien dorthin gelangen? Wer hatte noch Zugriff auf den Rechner?
Mit welchen externen Speichermedien war der Rechner jemals vernetzt worden? Mit welchen anderen Computern war er über ein Netzwerk verbunden und welche Verzeichnisse waren dort freigegeben?
Handelt es sich möglicherweise um versteckte Systemverzeichnisse?
Die technischen Details ergeben sich regelmäßig aus der Ermittlungsakte, dort aus dem Auswertebericht der forensischen IT-Abteilung der Kriminalpolizei. Bei diesen technischen Feststellungen nimmt die Verteidigung des Beschuldigten dann ihren Ausgang. Strafverteidigung baut hier auf Grundlagen auf: auf juristischem Wissen und auf Kenntnis der Technik. Strafverteidigung an der Schnittstelle von Strafrecht und Computer-Technik, um der Unschuldsvermutung Geltung zu verschaffen.
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