Kein Zugang der Eltern zu Facebook-Account des verstorbenen Kindes: Urteil aus Berlin

Erbrecht, Fernmeldegeheimnis und der Facebook-Account des verstorbenen Kindes – das Kammergericht Berlin entschied mit Urteil vom 31.05.2017, Az. 21 U 9/16: Der Schutz des Fernmeldegeheimnisses steht dem Anspruch der Eltern als Erben entgegen, Einsicht in die Kommunikation der verstorbenen Tochter mit Dritten zu erhalten. Die Mutter des verstorbenen Kindes kann als Erbin daher von Facebook nicht verlangen, Zugang zum Account ihrer Tochter und zu den dort gespeicherten Postings zu erhalten.

Eltern und der Facebook-Account des Kindes – was war geschehen?

Im Alter von 14 Jahren registrierte sich die Tochter der Klägerin im Alter von 14 Jahren bei Facebook. Im Alter von 15 Jahren verunglückte die Tochter der Klägerin unter ungeklärten Umständen tödlich: Sie wurde in einem Berliner U-Bahnhof von einem einfahrenden Zug erfasst und verstarb wenig später im Krankenhaus. Die Mutter hoffte, über den Facebook-Account ihrer Tochter etwaige Hinweise über mögliche Absichten oder Motive ihrer Tochter für den Fall zu erhalten, dass es sich bei dem Tod der Erblasserin um einen Suizid handelte. Dies war ihr jedoch nicht möglich, da das Benutzerkonto ihrer Tochter durch Facebook in den „Gedenkzustand“ versetzt worden war. Nach Angaben von Facebook wurde die Aktivierung des Gedenkzustandes durch einen der Mutter nicht näher bekannten Nutzer veranlasst. Facebook teilte den Namen dieses Nutzers aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht mit.

Erstinstanzlich vor dem Landgericht Berlin war die Mutter erfolgreich. Mit Urteil vom 17.12.2015, Az. 20 O 172/15, verpflichtete das Landgericht Berlin die Facebook Ireland Ltd, der aus der Klägerin und dem Vater des verstorbenen Kindes bestehenden Erbengemeinschaft den Zugang zu dem vollständigen Benutzerkonto und den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten zu gewähren.

Gegen das Urteil legte die Facebook Ireland Ltd Berufung zum Kammergericht Berlin ein.

Wie entschied das Kammergericht Berlin über das Zugangsrecht der Erben?

Das Kammergericht Berlin entschied zugunsten von Facebook und wies die Klage ab.

_ Frage der Vererbbarkeit des Facebook-Accounts bleibt offen

Es sei zwar grundsätzlich möglich, dass die Erben in die Rechte und Pflichten des Vertrages eingetreten seien, die die verstorbene Erblasserin mit Facebook geschlossen habe, und zwar nicht im Sinne der aktiven Fortführung dieses Vertrages, sondern um passive Leserechte zu erhalten. In den von Facebook gestellten Nutzungsbedingungen sei nicht geregelt, ob Rechte aus dem Vertrag im Falle des Todes des Nutzers auf seine Erben übergehen könnten. Der Grundgedanke des Vertrages spreche nicht generell dagegen, dass er nicht vererblich sei.

Andererseits regele das BGB nicht, ob höchstpersönliche Rechtspositionen ohne vermögensrechtliche Auswirkungen vererbbar seien. Das BGB setze für eine Vererbung voraus, dass sie in irgendeiner Form im Eigentum des Verstorbenen verkörpert seien und nicht nur virtuell existierten.

_ Fernmeldegeheimnis geht vor

Selbst wenn man davon ausgehe, dass der Facebook-Account in das Erbe falle, stehe das Fernmeldegeheimnis nach dem Telekommunikationsgesetz entgegen. Auch die privaten Diensteanbieter müssten das Fernmeldegeheimnis achten. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 16.06.2009, Az. 2 BvR 902/06, erstrecke sich das Fernmeldegeheimnis auch auf E-Mails, die auf den Servern von einem Provider gespeichert seien. Dies gelte entsprechend für sonstige bei Facebook gespeicherte Kommunikationsinhalte, die nur für Absender und Empfänger oder jedenfalls einen beschränkten Nutzerkreis bestimmt sind.

_ Ausnahmen nach dem Telekommunikationsgesetz greifen nicht

Die nach dem Telekommunikationsgesetz vorgesehenen Ausnahmen würden entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht greifen. Zwar sehe das Gesetz vor, dass einem Dritten Kenntnis vom Inhalt der Kommunikation verschafft werden dürfe, wenn dies erforderlich sei. Als erforderlich könne jedoch nur angesehen werden, was dazu diene, den Dienst technisch zu ermöglichen oder aufrecht zu erhalten. Da Facebook jedoch seine Dienste nur beschränkt auf die Person des Nutzers angeboten habe, sei es auch aus der Sicht der ebenfalls schutzbedürftigen weiteren Beteiligten am Kommunikationsvorgang (Chat) in technischer Hinsicht nicht erforderlich, einem Erben nachträglich Zugang zum Inhalt der Kommunikation zu verschaffen.

Ebenso wenig existiere eine andere gesetzliche Vorschrift, die erlaube, von dem Schutz des Fernmeldegeheimnisses eine Ausnahme zu machen. Insbesondere das Erbrecht nach dem BGB lasse nicht erkennen, dass der Gesetzgeber den Willen gehabt habe, das Fernmeldegeheimnis einzuschränken.

_ Mutter konnte Überlassung der Zugangsdaten nicht nachweisen

Zwischen den Parteien sei streitig geblieben, ob die Tochter ihrer Mutter die Zugangsdaten zum Facebook-Account überlassen hatte. Eine Beweisaufnahme sei jedoch nicht erforderlich gewesen. Nicht nur die Verstorbene als Nutzerin des Accounts und Vertragspartnerin von Facebook, sondern zumindest auch alle diejenigen, die in einem Zwei-Personen-Verhältnis mit der Verstorbenen kommuniziert haben, hätten auf den Schutz des Fernmeldegeheimnisses verzichtet haben müssen. Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, insbesondere aus dessen Urteil vom 27.02.2008, Az. 1 BvR 370/07, Rn. 290 bis 293, folge für den vorliegenden Fall im Endergebnis nichts Abweichendes. Die somit erforderliche Zustimmung dieser anderen Kommunikationspartner liege jedoch nicht vor.

_ Kein Anspruch auf Überlassung der Zugangsdaten außerhalb des Erbrechts

Auch außerhalb des Erbrechts bestehe kein Anspruch zu Gunsten der Klägerin auf Zugang zu dem Facebook-Account. Insbesondere das Recht der elterlichen Sorge verhelfe nicht zu einem solchen Anspruch. Das Recht der elterlichen Sorge erlösche mit dem Tode des Kindes. Das den Eltern noch zufallende Totenfürsorgerecht könne nicht dazu dienen, einen Anspruch auf Zugang zu dem Social-Media-Account des verstorbenen Kindes herzuleiten. Auch das eigene Persönlichkeitsrecht der Mutter sei nicht geeignet, einen Anspruch auf diesen Zugang zu begründen.

Auch das eigene Persönlichkeitsrecht der Mutter sei nicht geeignet, einen Anspruch auf diesen Zugang zu begründen. Trotz des verständlichen Wunsches der Eltern, die Gründe für den tragischen Tod ihrer Tochter näher zu erforschen, lasse sich hieraus kein Recht auf Zugang zu dem Facebook-Account ableiten.

Facebook-Account nach dem Tod des Kindes – wie geht es weiter?

Das Kammergericht Berlin ließ die Revision zum Bundesgerichtshof zu. Für die Einlegung der Revision steht der Mutter eine einmonatige Frist offen.

Das Kammergericht Berlin hat Güterabwägungen nach vielen Seiten vorgenommen. Nicht nur das verstorbene Facebook-Mitglied und die Interessen von dessen Erben müssen berücksichtigt werden, sondern auch die Interessen derjenigen Personen, mit denen das Facebook-Mitglied kommunizierte.

Ein Aspekt aber bleibt hier unberücksichtigt: Nutzerdaten sind eine Währung, sind ein Vermögenswert – und zwar in der Hand des Plattform-Betreibers und dessen Werbepartnern. Mit wem kommuniziert das Facebook-Mitglied? Welche Werbung schaut sich das Facebook-Mitglied an? Welche Inhalte bekommen ein „gefällt mir“? Welche Rückschlüsse sind aus diesem Nutzerverhalten möglich und wie lassen sie sich kommerziell auswerten?

Das gilt nicht nur für Facebook, sondern in der gleichen Weise für jede andere Social-Media-Plattform.

Was aber passiert mit diesen Daten nach dem Tod? Werden sie gleichsam eingefroren? Oder stehen sie dem Plattform-Betreiber weiterhin zur Verwertung zur Verfügung?

Zu Lebzeiten ist das Mitglied – hoffentlich – Herr seiner Daten. Das Mitglied kann vorbeugend bestimmen, welche einzelnen Daten und anderen Informationen es preisgibt. Das Mitglied kann Postings nachträglich ändern oder auch wieder löschen, wenn es meint, hierdurch in ein schiefes Licht gerückt oder sonst in seinen Interessen, in seiner Online-Reputation, beeinträchtigt zu werden.

All diese vorbeugenden Gestaltungsmöglichkeiten sollen den Erben nach dem Urteil des Kammergerichts grundsätzlich versperrt sein: Kein Zugang zum Account, kein Zugriff auf die Inhalte.

Das Facebook-Urteil des Kammergerichts Berlin vom 31.05.2017 lässt Fragen offen, die für die Digitalgesellschaft von wesentlicher Bedeutung sein werden – in Zukunft noch stärker als heute, aber heute bereits drängend. Es ist zu hoffen, dass das Verfahren vor den Bundesgerichtshof kommt, und das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.

Edit 01.06.2017: Geschäftszeichen korrigiert von 21 W 23/16 auf 21 U 9/16

 

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