Urteil: Beweislastverteilung bei Löschung von negativer Arztbewertung

Löschungsanspruch eines Arztes gegenüber der Betreiberin eines Ärzte-Bewertungsportals und Beweislastverteilung – das Landgericht Frankenthal (Pfalz) entschied mit Urteil vom 18.09.2018, Az. 6 O 39/18: Ist streitig, ob überhaupt eine Behandlung stattgefunden hat, muss grundsätzlich der klagende Arzt beweisen, dass kein Behandlungskontakt vorlag. Da der Beweis negativer Tatsachen besonderen Schwierigkeiten unterliegt, muss die beklagte Betreiberin des Bewertungsportals im Rahmen der sekundären Darlegungslast Tatsachen vortragen, die der Arzt möglicherweise entkräften kann.

Streit um Ärztebewertung – was war geschehen?

Der Kläger ist Kieferorthopäde in einer Gemeinschaftspraxis. Die Beklagte betreibt als Hostprovider ein Bewertungsportal, auf dem Ärzte bewertet werden können.

Dieses Bewertungsportal ist so gestaltet, dass sich ein Nutzer allein mit einer E-Mail-Adresse und einem Passwort registrieren und Bewertungen einstellen kann. Eines Klarnamens muss nicht angegeben werden. Die von den Nutzern auf dem Portal einstellbaren Bewertungen sind so aufgebaut, dass Pflichtangaben und freiwillige Angaben zu machen sind. Als Pflichtangabe müssen die Nutzer eine Überschrift vergeben. Dann können die Nutzer einen Bewertungstext in einem Freifeld verfassen. Danach sind nach dem Schulnotenprinzip einzelne Punkte zu bewerten. Sodann schließen sich freiwillige Bewertungskategorien zur Vergabe von Schulnoten an. Abschließend können die Nutzer weitere freiwillige Angaben unter anderem zur eigenen Person des Bewertenden und zum Grund der Behandlung machen.

Am 26.8.2016 wurde auf diesem Portal eine anonyme Bewertung über den Kläger veröffentlicht. Diese trägt die Überschrift: „überaus unhöflich und unprofessionell“. Daneben erscheint die sich aus den Einzelschulnoten errechnete Gesamtnote von 5,2.

Unterhalb der Überschrift erschien am 26.8.2016 der folgende Freitext:

„Ich fühlte mich während der Behandlungszeit immer sehr unwohl, wenn ich einen Termin dort wahrzunehmen hatte. Ich halte Kläger für einen extrem schlechten Arzt, weil ich fand den Umgang mit mir als Patient eine Katastrophe! Meiner Meinung nach ein ganz furchtbarer Mensch.“

Dem klagenden Arzt wurden folgende Einzelnoten gegeben:

  • Behandlung 6,0
  • Aufklärung 5,0
  • Vertrauensverhältnis 5,0
  • genommene Zeit 5,0
  • Freundlichkeit 5,0
  • Angst Patienten 5,0
  • Wartezeit Praxis 3,0
  • Betreuung 4,0
  • Entertainment 2,0
  • Kinderfreundlichkeit 6,0
  • Praxisausstattung 4,0

Mit Schreiben seines Rechtsanwaltes vom 07.09.2016 ließ der Arzt die Portalbetreiberin und spätere Beklagte zur Löschung der Bewertung auffordern. Die Portalbetreiberin leitete daraufhin ein Prüfverfahren ein. Sie bat den Patienten um Behandlungsbelege. Zunächst nahm die Portalbetreiberin die Bewertung vollständig von der Plattform. Der anonyme Verfasser der Bewertung gab unter dem 08.10.2016 eine Stellungnahme ab. Er nannte der Plattformbetreiberin als Behandlungszeitraum 6/12-6/16 und schrieb:

“ … Im Einwand von Herrn (Name des Arztes) werde ich dazu aufgefordert, Anknüpfungstatsachen zu nennen. Dies habe ich bewusst nicht gemacht, da Tatsachen im Zweifel für einen Patient nicht beweisbar sind. Sehr wohl darf ich jedoch meine Meinung äußern … Alles was ich hier erlebt habe, möchte ich nicht im Detail schildern, es war eine Katastrophe…. Beweisdokumente sind beigefügt.“

Die Portalbetreiberin übersandte dem Arzt eine fast vollständig geschwärzte Abschlussbescheinigung über eine kieferorthopädische Behandlung sowie die Stellungnahme des anonymen Verfassers vom 08.10.2016. Hierbei gab sie dem Arzt Gelegenheit zur Stellungnahme bis 25.12.2016. Der Arzt antwortete mit Schreiben vom 20.12.2016.

Die Portalbetreiberin entfernte in der Folge den letzten Satz der Bewertung: „Meiner Meinung nach ein ganz furchtbarer Mensch“. Die übrige Bewertung stellte sie wieder online.

Mit Schreiben vom 05.10.2017 verlangte der Rechtsanwalt des Arztes nochmals die Löschung der Bewertung: Ein Kontakt zwischen Arzt und Patient sei nicht nachgewiesen. Die Bewertung ziele darauf ab, die persönliche und berufliche Integrität mit größtmöglichen Schaden anzugreifen.

Da die Portalbetreiberin dieser Aufforderung nicht nachkam, erhob der Arzt Klage.

Wie entschied das Gericht über den Löschungsanspruch gegen die Portalbetreiberin?

Das Landgericht Frankenthal gab dem Arzt Recht.

Der klagende Arzt werde durch die Bewertung mit Text und Schulnoten, Gesamtnote 5,2 in seinem Persönlichkeitsrecht sowie in seiner beruflichen Integrität beeinträchtigt. Mangels Darlegung eines belastbaren Tatsachenkerns, hier einer tatsächlich stattgehabten Behandlung des Bewertenden, habe die Beklagte kein schützenswertes Interesse an der Veröffentlichung der als Meinung einzustufenden Bewertung belegen können.

_ Haftung der Portalbetreiberin als Störerin

Die beklagte Portalbetreiberin hafte als mittelbare Störerin.

Eine Haftung als unmittelbare Störerin scheide aus. Die Beklagte habe sich durch das Entfernen des letzten Satzes der ursprünglichen Bewertung „Meiner Meinung nach ein ganz furchtbarer Mensch“ nicht die Bewertung derart zu eigen gemacht, dass sie eigenverantwortliche Änderungen vorgenommen habe. Sie habe lediglich den letzten Satz entfernt, jedoch keine inhaltliche Änderung vorgenommen.

_ Bewertung als Meinungsäußerung

Bei der beanstandeten Bewertung sei von Meinungen und Werturteilen auszugehen:

„Ebenso liegt keine unwahre Tatsachenbehauptung vor. Bei den beanstandeten Äußerungen und Notenbewertungen handelt es sich nach einer Gesamtbewertung um Meinungen und Werturteile. Dies ergibt sich unter anderem daraus, dass in jedem Satz der Einzelbewertung ein Element des Meinens und Dafürhaltens verwendet wird. Der aus drei Sätzen bestehende Text beginnt mit dem Satz: ‚Ich fühlte…‘. Der nächste Satz beginnt mit: ‚Ich halte …, weil ich fand…‘. Der dritte Satz beginnt mit den Worten: ‚Meiner Meinung nach…‘

Tatsachen werden in den Fließtext nicht geschildert. Es handelt sich ausschließlich um die Schilderung subjektiver Wahrnehmungen.

Die Noten sind ebenfalls ohne weiteren Kommentar vergeben und enthalten entgegen der Auffassung des Klägers keinen Tatsachengehalt. Insbesondere kann aus der Note 6,0 für die Kategorie Behandlung sowie aus den Noten 5,0 für die Kategorien Aufklärung und Vertrauensverhältnis nicht geschlossen werden, dass die Behandlung oder die Aufklärung fehlerhaft waren oder etwa nicht gesetzlichen Richtlinien entsprochen haben. Hierzu fehlt jeglicher Tatsachenvortrag. Es ist daher ersichtlich, dass es sich bei der Notenvergabe um eine Bewertung handelt. Ein etwaiger Aussagegehalt einer schlechten Note dahingehend, dass ein ärztlicher Behandlungsfehler oder ein Aufklärungsfehler vorliegt, kann in der reinen Notenvergabe daher nicht gesehen werden (BGH GRUR 2016,855 ff).“

Diese Meinungen und Werturteile seien zu unterlassen, weil kein belastbarer Tatsachenkern nachgewiesen sei:

„In der geäußerten Meinung muss jedoch zumindest ein Tatsachenkern enthalten sein. Dies ist bei der Bewertung einer ärztlichen Leistung die (Minimal-)Tatsache, dass überhaupt ein Arzt-Patienten Kontakt im Sinne einer Behandlung stattgefunden hat. An der Bewertung nicht stattgefundener Behandlungen besteht kein rechtliches Interesse. Dies ist auch nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt.“

_ Beweislastverteilung für den Nachweis des Tatsachenkerns

Ein tatsächlich stattgefundener Behandlungskontakt sei nicht ausreichend dargelegt.

Der Beweislast des klagenden Arztes stehe eine sekundäre Darlegungslast der beklagten Portalbetreiberin gegenüber:

„Nachdem hier streitig ist, ob überhaupt eine Behandlung stattgefunden hat, muss grundsätzlich der Kläger beweisen, dass kein Behandlungskontakt vorlag (OLG Dresden, NJW-RR 2018, 675). Da der Beweis negativer Tatsachen besonderen Schwierigkeiten unterliegt, muss die Beklagte im Rahmen der sekundären Darlegungslast Tatsachen vortragen, die der Kläger möglicherweise entkräften kann (Zöller/ Greger, ZPO, 32. Aufl., vor § 284 ZPO, Rnr. 24). Hierbei hat die Beklagte gemäß § 13 Abs.6 TMG die Anonymität der Nutzer zu gewährleisten.“

Hier habe die beklagte Portalbetreiberin ihre sekundäre Darlegungslast nicht erfüllt.

Nach Beanstandung habe die Portalbetreiberin zunächst das sogenannte Prüfverfahren durchzuführen:

„Hierbei hat der Plattformbetreiber den Bewertenden auffordern, den angeblichen Behandlungskontakt möglichst genau zu beschreiben und Indizien zu übermitteln, z.B. Terminkarten, Zetteleintragungen in Bonushefte, Rezepte oder sonstige Indizien. Die Beklagte hat dem Kläger sodann diejenigen Informationen und Unterlagen, eventuell geschwärzt weiterleiten, zu deren Weiterleitung sie ohne Verstoß gegen § 12 Abs. 1 TMG die in der Lage ist (BGH, GRUR 2016, 855).“

Die Stellungnahme ihres Users zur Beanstandung enthalte bis auf die geschwärzte Abschlussbescheinigung keinerlei belastbaren Tatsachenkern. Die beklagte Portalbetreiberin habe deshalb die Anforderungen des Prüfverfahrens nicht erfüllt:

„Die Beklagte übersandte die geschwärzte Abschlussbezeichnung, Anlage K4. Diese ist sowohl hinsichtlich des Patientennamens als auch des Datums geschwärzt. Als Behandlungszeitraum nannte die Beklagte 6/2012-06/2016.

Hiermit genügt die Beklagte ihrer sekundären Darlegungslast nicht. Der Bewertende hat weder in der angegriffenen Bewertung, noch in seiner Stellungnahme im Prüfverfahren irgendeine Anknüpfungstatsache geschildert. Er hat im Gegenteil ausdrücklich darauf verwiesen, dass er dies nicht tun werde. Der Kläger hat somit weder aus dem Wortlaut der Bewertung, noch aus der Stellungnahme im Prüfverfahren einen Anhaltspunkt dafür, dass überhaupt ein Behandlungskontakt stattgefunden hat. Der User verweigert ausdrücklich die Schilderung irgendeiner Anknüpfungstatsache.

Auch mit dem angegebenen Behandlungszeitraum und der als Behandlungsunterlage überreichten Behandlungsbescheinigung ist ein tatsächlich stattgefundener Behandlungskontakt nicht ausreichend dargelegt.

[…]

Die Vorlage der Stellungnahme ohne Anknüpfungstatsachen in Kombination mit der geschwärzten Abschlussbescheinigung, die von jedem Patienten mit abgeschlossener Behandlung oder nach Vortrag des Klägervertreters im Termin auch von einem ehemaligen Mitarbeiter stammen kann, ist angesichts einer behaupteten vierjährigen Behandlung als einziges objektivierbares Dokument unzulänglich.“

Das Landgericht Frankenthal setzte den Streitwert des Verfahrens mit 25.000 € fest und legte der beklagten Portalbetreiberin die Kosten des Verfahrens auf. Weiter verpflichtete das Gericht die Portalbetreiberin, den Arzt von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren freizustellen.

Welche Auswirkungen hat das Urteil auf die Praxis?

Die Abwehr negativer Bewertungen in Ärzte-Bewertungsportalen ist immer wieder Gegenstand von Gerichtsverfahren. Das Urteil zeigt: Ärzte sind ungerechtfertigten negativen Bewertungen nicht schutzlos ausgeliefert. Auch Bewertungen, also Meinungsäußerungen über die Behandlungstätigkeit des Arztes, müssen einen nachvollziehbaren Kern haben.

Das Urteil des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) richtet sich gegen die Betreiberin des Bewertungsportals, stärkt aber am Ende vor allem die Waffengleichheit zwischen bewertenden Patienten und bewerteten Ärzten.

 

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