Gescheiterter IT-Projektvertrag, Werkvertrag und BGH-Urteile

Der IT-Projektvertrag ist in Schieflage geraten oder vielleicht sogar gescheitert – die Stimmung ist im Keller. Wie geht es nun weiter? Wie ist die Rechtslage? Zwei nicht mehr ganz taufrische, aber noch immer gültige, Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH) geben einen ersten Überblick, nämlich das Urteil „Internet-System-Vertrag“ vom 04.03.2010, Az. III ZR 79/09, und das Urteil „E. Premium“ vom 08.01.2015, Az. VII ZR 6/14.

Worum geht es?

_ Entscheidung „Internet-System-Vertrag“

In dem Fall „Internet-System-Vertrag“ hatte der BGH zunächst über die rechtliche Einordnung eines derartigen Vertrages zu entscheiden. Außerdem hatte er über die Wirksamkeit einer Klausel in diesem Vertrag zu entscheiden, die eine Vorleistungspflicht des Kunden begründete.

Die Parteien hatten einen „Internet-System-Vertrag“ mit der Bezeichnung „€ Premium Plus“ mit „Editorfunktion“ und „Full Service“ geschlossen. Die Auftraggeberin und spätere Klägerin dem Auftraggeber mehrere Einzelleistungen, nämlich

  • die Recherche und Registrierung einer Internet-Domain,
  • die Zusammenstellung der Webdokumentation durch einen Webdesigner,
  • die Gestaltung und Programmierung einer individuellen Internetpräsenz nach den Vorgaben des Beklagten
  • sowie weitere Beratung und Betreuung über eine Hotline.

Zusätzlich zu den Anschlusskosten hatte die Beklagte ein monatliches Entgelt in Höhe von 120,00 € zuzüglich Umsatzsteuer zu entrichten, wobei die Laufzeit 36 Monate betragen sollte.

Der beklagte Auftraggeber hatte die Anschlusskosten und das Entgelt für das erste Vertragsjahr bezahlt. Mit ihrer Klage machte die Auftragnehmerin die Entgelte für das zweite und dritte Vertragsjahr nebst Zinsen und vorgerichtlicher Kosten geltend.

Der Beklagte verteidigte sich damit, die Bestimmung einer Vorleistungspflicht in § 1 Abs. 1 Satz 2 der AGB sei gemäß § 307 BGB unwirksam. Die Klägerin habe die von ihr geschuldeten Leistungen nicht wie geschuldet erbracht. Er habe den Vertrag wirksam gekündigt.

_ Entscheidung „E. Premium“

Auch dem Fall „E. Premium“ lag ein derartiger „Internet-System-Vertrag“ mit der Bezeichnung „€ Premium Plus“ zugrunde. Hier hätte der Vertrag die Erstellung, die Nutzungsüberlassung, das Hosting und die Betreuung einer Internetpräsenz über eine Laufzeit von 48 Monaten umfassen sollen. Hier war die Auftraggeberin Klägerin. Sie hatte den Vertrag bereits gekündigt. Der BGH hatte über die Frage zu entscheiden, ob die Auftragnehmerin die Abschlagzahlungen, sie bereits von der Auftraggeberin erhalten hatte, zurückzahlen musste oder gemäß § 649 Satz 2 BGB behalten durfte.

Bereits am Tag nach Vertragsschluss hatte Klägerin die Beklagte gebeten, die Internetpräsenz wegen einer geplanten Umfirmierung um etwa ein halbes Jahr zu verschieben. Hiermit hatte sich die Beklagte einverstanden erklärt. Gleichwohl hatte die Beklagte das Entgelt für den ersten Berechnungszeitraum gefordert. Die Klägerin hatte in der Folgezeit das Entgelt für die ersten drei Vertragsjahre „vorbehaltlich der nachträglichen Leistungserbringung“ gezahlt. Knapp drei Monate nach Vertragsschluss hatte die Klägerin dann die Kündigung des Vertrages erklärt. Zur Begründung hatte sie geltend gemacht, die beabsichtigte Umfirmierung erfolge nicht in absehbarer Zeit und ein Internetauftritt unter der bisherigen Firma mache keinen Sinn.

Ergebnis: Wie entschied der BGH?

_ Entscheidung „Internet-System-Vertrag“

Der BGH verglich den Internet-System-Vertrag zunächst mit Verträgen, die ähnliche Leistungsgegenstände betrafen:

„(a) Bei dem ‚Access-Provider-Vertrag‘ geht es um die Pflicht des Anbieters, dem Kunden den Zugang zum Internet zu verschaffen; hierbei schuldet der Provider – nur – die Bereithaltung des Anschlusses und das sachgerechte Bemühen um die Herstellung der Verbindung in das Internet, so dass dieser Vertrag im Allgemeinen als Dienstvertrag im Sinne der §§ 611 ff BGB anzusehen ist (Senat, Beschluss vom 23. März 2005 – III ZR 338/04NJW 2005, 2076 m.w.N.; Klett/Pohle aaO S. 199; für die Annahme eines Werkvertrags hingegen Redeker, IT-Recht, 4. Aufl., Rn. 968).

(b) Gegenstand des ‚Application-Service-Providing (ASP)‘-Vertrags ist die Bereitstellung von Softwareanwendungen für den Kunden zur Online-Nutzung über das Internet oder andere Netze. Im Vordergrund dieses Vertrages steht die (Online-)Nutzung fremder (Standard-)Software, die in aller Regel nicht nur einem, sondern einer Vielzahl von Kunden zur Verfügung gestellt wird, und somit der Gesichtspunkt der (entgeltlichen) Gebrauchsüberlassung, weshalb dieser Vertrag von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als Mietvertrag im Sinne der §§ 535 ff BGB eingeordnet worden ist (BGH, Urteil vom 15. November 2006 – XII ZR 120/04NJW 2007, 2394 f Rn. 11 ff; Klett/Pohle aaO S. 203; für die Einordnung als Dienstvertrag hingegen Redeker aaO Rn. 987 ff).

(c) Beim ‚Web-Hosting‘-Vertrag (bzw. ‚Website-Hosting‘-Vertrag) stellt der Anbieter auf seinem eigenen Server dem Kunden Speicherplatz und einen entsprechenden Internet-Zugang zur Verfügung, wobei es Sache des Kunden ist, diesen Speicherplatz (durch eine eigene Website) zu nutzen und zu verwalten. Dieser Vertrag weist dienst-, miet- und werkvertragliche Aspekte auf (s. dazu etwa MünchKommBGB/Busche, 5. Aufl., § 631 Rn. 279; Klett/Pohle aaO S. 202 f; Schuppert, in: Spindler, Vertragsrecht der Internet-Provider, 2. Aufl., Teil II Rz. 48 f = S. 15 f und Teil V Rz. 3 ff = S. 513 ff). Findet der Vertragszweck seinen Schwerpunkt in der Gewährleistung der Abrufbarkeit der Website des Kunden im Internet, so liegt es allerdings nahe, insgesamt einen Werkvertrag im Sinne der §§ 631 ff BGB anzunehmen (so OLG Düsseldorf, MMR 2003, 474 f; Redeker aaO Rn. 980).

(d) Im ‚Webdesign-Vertrag‘ verpflichtet sich der Anbieter, für den Kunden eine individuelle Website zu erstellen. Ein solcher Vertrag dürfte – ebenso wie ein Vertrag über die Erstellung oder Bearbeitung einer speziellen, auf die Bedürfnisse des Auftraggebers abgestimmten Software (s. BGHZ 102, 135, 140 f; BGH, Urteile vom 15. Mai 1990 – X ZR 128/88NJW 1990, 3008, vom 3. November 1992 – X ZR 83/90NJW 1993, 1063, vom 9. Oktober 2001 – X ZR 58/00CR 2002, 93, 95 und vom 16. Dezember 2003 – X ZR 129/01NJW-RR 2004, 782, 783) – regelmäßig als Werkvertrag im Sinne der §§ 631 ff BGB, unter Umständen auch als Werklieferungsvertrag im Sinne von § 651 BGB, anzusehen sein (s. dazu etwa Busche aaO m.w.N.; Klett/Pohle aaO S. 201; Redeker aaO Rn. 980; Schneider, in: Handbuch des EDV-Rechts, 4. Aufl., Teil O Rz. 342 f = S. 2066; Schmidt, in: Spindler, Vertragsrecht der Internet-Provider, 2. Aufl., Teil VIII Rz. 4 = S. 659 ff; Cichon, Internet-Verträge, 2. Aufl., S. 117 ff; Härting, Internetrecht, 3. Aufl., Rn. 334 ff = S. 83 ff).

(e) Beschränkt sich die Leistungspflicht des Anbieters auf die Beschaffung und Registrierung einer vom Kunden gewünschten Internet-Domain, so stellt sich der Vertrag in der Regel als ein Werkvertrag dar, der eine entgeltliche Geschäftsbesorgung (§ 675 Abs. 1, §§ 631 ff BGB) zum Gegenstand hat (s. OLG Köln, MMR 2003, 191; Klett/Pohle aaO S. 200 m.w.N.; Redeker aaO Rn. 1085; Schuppert aaO Teil VI Rz. 11 = S. 600).

(f) Verträge über die ‚Wartung‘ oder ‚Pflege‘ von Software, EDV-Programmen oder Websites sind als Werkverträge einzuordnen, soweit sie auf die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit und die Beseitigung von Störungen (und somit: auf einen Tätigkeitserfolg) gerichtet sind, wohingegen ihre Qualifizierung als Dienstvertrag nahe liegt, wenn es an einer solchen Erfolgsausrichtung fehlt und die laufende Serviceleistung (Tätigkeit) als solche geschuldet ist (s. dazu BGHZ 91, 316, 317; BGH; Urteil vom 8. April 1997 – X ZR 62/95NJW-RR 1997, 942, 943; ferner: OLG München, CR 1989, 283, 284 und CR 1992, 401, 402; Palandt/Sprau aaO vor § 631 Rn. 22; Busche aaO § 631 Rn. 284; Redeker aaO Rn. 648 ff m.w.N.; Klett/Pohle aaO S. 201).“

Auf Grundlage dieses Vergleichs der verschiedenen Vertragstypen und der mit ihnen typischerweise verbundenen Pflichten kam der BGH-Senat dann zum Ergebnis, dass der hier maßgebliche „Internet-System-Vertrag“ nach Werkvertragsrecht zu beurteilen war:

„Der hier zu beurteilende ‚Internet-System-Vertrag‘ weist in einzelnen Elementen Bezüge zu einigen der vorerwähnten Vertragstypen auf, ist indes keinem dieser Vertragstypen vollständig zuzuordnen, sondern als eigener Vertragstypus anzusehen, der sich insgesamt als Werkvertrag im Sinne der §§ 631 ff BGB darstellt.“

Im Wege einer Interessenabwägung kam der BGH dann zu dem Ergebnis, dass die Vorkasseklausel, die in den AGB des „Internet-System-Vertrages“ enthalten war, jedenfalls gegenüber Unternehmern wirksam war.

_ Entscheidung „E. Premium“

Der BGH hob zunächst hervor, dass Vorschuss- und Abschlagszahlungen im Werkvertrag nur vorläufigen Charakter haben und dass der Werkunternehmer verpflichtet ist, hierüber eine Abrechnung vorzulegen:

„Haben die Parteien eines BGB-Werkvertrages, um den es sich hier handelt (vgl. BGH, Urteil vom 27. Januar 2011 – VII ZR 133/10, BGHZ 188, 149 Rn. 9; Urteil vom 4. März 2010 – III ZR 79/09, BGHZ 184, 345 Rn. 15-27), Voraus- oder Abschlagszahlungen vereinbart, folgt ein etwaiger Rückzahlungsanspruch aufgrund eines sich nach einer Abrechnung ergebenden Überschusses aus dem Vertrag (vgl. BGH, Urteil vom 11. Oktober 2012 – VII ZR 10/11, BauR 2013, 117 Rn. 17= NZBau 2012, 783).

Vereinbaren die Vertragsparteien Voraus- oder Abschlagszahlungen, dann hat der Besteller ein berechtigtes Interesse daran, dass der Unternehmer die ihm nach einer Kündigung des Vertrages oder nach Abnahme zustehende endgültige Vergütung unter Berücksichtigung geleisteter Voraus- oder Abschlagszahlungen in einer endgültigen Rechnung abrechnet. Die Verpflichtung des Unternehmers, dem Besteller die genannten Rechnungen zu erteilen, folgt aus dem vorläufigen Charakter der Voraus- oder Abschlagszahlungen (vgl. BGH, Urteil vom 24. Januar 2002 – VII ZR 196/00 ,BauR 2002, 938, 939= NZBau 2002, 329; Urteil vom 11. Februar 1999 – VII ZR 399/97 , BGHZ 140, 365, 373 f. zum VOB/B-Vertrag).“

Wolle der Auftraggeber seine Abschlagszahlungen ganz oder teilweise erstattet erhalten, so habe er zunächst schlüssig die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Auszahlung eines Saldoüberschusses aus einer Schlussabrechnung vorzutragen.

Die Anforderungen an diesen Vortrag setzt der BGH nicht all zu hoch an:

„Dazu kann er sich auf eine vorhandene Abrechnung des Unternehmers beziehen und darlegen, dass sich daraus ein Überschuss ergibt oder nach Korrektur etwaiger Fehler ergeben müsste. Ausreichend ist eine Abrechnung, aus der sich ergibt, in welcher Höhe der Besteller Voraus- und Abschlagszahlungen geleistet hat und dass diesen Zahlungen ein entsprechender endgültiger Vergütungsanspruch des Unternehmers nicht gegenübersteht. Er kann sich auf den Vortrag beschränken, der bei zumutbarer Ausschöpfung der ihm zur Verfügung stehenden Quellen seinem Kenntnisstand entspricht.“

Anschließend sei der Auftragnehmer am Zuge:

„Hat der Besteller nach diesen Grundsätzen ausreichend vorgetragen, muss der Unternehmer darlegen und beweisen, dass er berechtigt ist, die Voraus- und Abschlagszahlungen endgültig zu behalten (BGH, Urteile vom 22. November 2007 – VII ZR 130/06, BauR 2008, 540, 542= NZBau 2008, 256; vom 30. September 2004 – VII ZR 187/03, BauR 2004, 1940, 1941= NZBau 2005, 41; vom 24. Januar 2002 – VII ZR 196/00, BauR 2002, 938, 940= NZBau 2002, 329).“

Die Anforderungen an die Abrechnung des gekündigten Internet-System-Vertrages seien einzelfallabhängig zu bestimmen:

„Welche Anforderungen an die Abrechnung des gekündigten Werkvertrages zu stellen sind, hängt vom Vertrag sowie den seinem Abschluss und seiner Abwicklung zugrunde liegenden Umständen ab. Sie ergeben sich daraus, welche Angaben der Besteller zur Wahrung seines Interesses an sachgerechter Verteidigung benötigt. Der Unternehmer muss über die kalkulatorischen Grundlagen der Abrechnung so viel vortragen, dass dem für höhere ersparte Aufwendungen darlegungs- und beweisbelasteten Besteller eine sachgerechte Rechtswahrung ermöglicht wird (BGH, Urteil vom 24. März 2011 – VII ZR 146/10, ZfbR 2011, 470, 471 m. w. N.). Die Anforderungen lassen sich nicht schematisch festlegen; sie ergeben sich aus dem Vertragsgegenstand im Einzelfall. Durch diesen werden sie bestimmt und begrenzt. Dabei sind unter anderem auch die Vertragsgestaltung und der Vertragsinhalt von Bedeutung (BGH, Urteil vom 14. Januar 1999 – VII ZR 277/97, BGHZ 140, 263, 266 f.). Der Unternehmer hat seinen Vortrag gegebenenfalls nach allgemeinen Grundsätzen näher zu substantiieren, wenn er aufgrund der Stellungnahme der Gegenseite relevant unklar und deshalb ergänzungsbedürftig wird. Das erfordert allerdings mehr als den Hinweis der Gegenseite, der Vortrag des Unternehmers sei nicht schlüssig (BGH, Urteil vom 14. Januar 1999 – VII ZR 277/97, aaO S. 266).“

Wie zuvor bereits das Berufungsgericht – Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil vom 05.12.2013, Az. I-5 U 58/13 – kam der BGH schließlich zu dem Ergebnis, der klagenden Auftraggeberin könne aufgrund der lediglich 31,24 € nebst Zinsen erstattet verlangen. Sie habe weder dargelegt noch bewiesen, dass die Beklagte höhere ersparte Aufwendungen und/oder die Möglichkeit anderweitigen Erwerbs hatte.

Auswirkung auf die Praxis

Was tun, wenn der IT-Projektvertrag in Schieflage geraten oder vielleicht sogar gescheitert ist? Welche Ansprüche bestehen? Unter welchen Bedingungen kann sich die eine oder die andere Vertragspartei von dem Vertrag lösen und welche finanziellen Folgen zieht dieser Schritt nach sich? Wie so häufig in der Juristerei gilt auch hier: Es kommt darauf an – darauf, ob der IT-Projektvertrag als Dienstleistungsvertrag, Werkvertrag, Mietvertrag oder Kaufvertrag einzuordnen ist. Eine Entscheidungshilfe stellt der BGH mit seinen „Musterverträgen“ zur Verfügung, die er im Rahmen seines Urteils „Internet-System-Vertrag“ geprüft hat. Für die weitere finanzielle Abwicklung finden sich im Urteil „E. Premium“ erste Hinweise und Handreichungen.

Die Ursache für eine Schieflage aber findet sich in der Praxis oft im Vorfeld: Die Vertragsparteien haben vor Abschluss des IT-Projektvertrages die Anforderungen, Ziele und Ergebnisse nicht präzise bestimmt, sondern haben es bei ungenauen Floskeln und vagen Vorstellungen belassen. Eine detaillierte Leistungsbeschreibung fehlt. Überschriften und Schlagworte im schriftlichen Angebot alleine ergeben aber noch keinen guten IT-Projektvertrag.

 

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